69/2022, 12.05.2022

„Ich bevorzuge es miteinander zu sprechen, nicht übereinander“

Torsten Burmester ist heute seit 100 Tagen Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). In einem Interview mit dosb.de spricht er über virtuelles Kaffeetrinken, erste Erfolge und aktuelle Herausforderungen.

Herr Burmester, heute sind Sie exakt 100 Tage Vorstandsvorsitzender des DOSB. Traditionell der ideale Zeitpunkt für ein erstes Zwischenfazit. Wie fällt das aus? 

Eines kann ich sagen: Die Zeiten, in denen man aus guter Tradition eine Schonfrist von 100 Tagen bekommen hat, um sich in aller Ruhe in die neuen Aufgaben einzuarbeiten, sind definitiv vorbei. Das ist aber auch gut so. Ich bin den Job hier ja nicht angetreten, um es inmitten der Corona-Pandemie und nach einer für den Verband nicht ganz einfachen Zeit, locker und in aller Ruhe anzugehen. Mir war durchaus bewusst, dass auf den neuformierten Vorstand und mich gleich eine Menge Herausforderungen warten. 

Also kein gemütliches Kaffeetrinken mit den Mitarbeiter*innen in den ersten Wochen? 

Doch, dafür habe ich mir selbstverständlich auch Zeit genommen. Besser gesagt, ich nehme sie mir immer noch.  Einmal die Woche treffe ich mich mit zwei, drei Mitarbeitenden zu einer virtuellen Kaffeetasse. Das ist ein unverrückbarer Fixtermin in meinem wöchentlichen Kalender. Mir ist es sehr wichtig, dass ich die Mitarbeitenden und ihre jeweiligen Projekte und Aufgaben persönlich kennenlerne. Und ich möchte auf direktem Wege ihre Erwartungen an mich und für die künftige Ausrichtung des Verbandes erfahren.  

Das gilt gleichermaßen auch für externe Bereiche. Ich bevorzuge es miteinander zu sprechen, nicht übereinander.  Deshalb habe ich seit meinem Amtsantritt sehr viele Gespräche geführt, persönlich und remote. Vor allem mit Vertretern unserer Mitgliedsorganisationen und auf politischer Ebene. Aber eben auch mit zahlreichen Medien und vielen Kritikern unseres Verbandes. Gerade auch aus diesen Gesprächen nehme ich sehr viele Inhalte mit. So entsteht immer mehr ein klares Bild, wie der moderne DOSB der Zukunft, der möglichst viele Erwartungen erfüllt, aussehen muss. Der Weg dorthin braucht aber ein bisschen Zeit. Der DOSB wird ja oft als schwerfälliger Tanker bezeichnet. Wenn dem so ist, dauert es eben, ihn in eine neue Richtung zu wenden. Aber wenn er dann mit Vollgas in diese Richtung unterwegs ist, ist er nur noch schwer zu bremsen. Und ich denke, dass wir bei der Mitgliederversammlung im Dezember schon eine deutliche Kurskorrektur wahrnehmen können. 

Der DOSB hat im vergangenen Jahr nicht nur positive Schlagzeilen gemacht. Was für einen Verband haben Sie bei Amtsantritt vorgefunden? 

Ich war zuvor Geschäftsführer beim Deutschen Behindertensportverband und bin schon länger im organisierten Sport unterwegs. Deshalb kannte ich den DOSB bereits recht gut und war wenig überrascht, dass in der Frankfurter Zentrale viele motivierte und hoch qualifizierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten. Natürlich haben die Vorgänge des vergangenen Jahres Spuren hinterlassen. Und ich glaube, diesbezüglich sind wir mit dem neuen Präsidium und dem neu formierten Vorstand auf einem guten Weg.  

Auch der Vorstandsbereich wurde von Ihnen umstrukturiert. 

Ja richtig. Mir war und ist es wichtig, dass die Organisations- und Personalentwicklung sowie die Digitalisierung als richtungsweisende Querschnittsaufgaben der Verbandsentwicklung direkt beim Vorstandsvorsitzenden angesiedelt sind. Darüber hinaus gehören die Bereiche Verbandskommunikation, Internationales sowie die Büros in Berlin und Brüssel zu meinem direkten Bereich und das Thema Gesamtstrategie und strategische Kommunikation wird über einen neuen Büroleiter abgedeckt. 

Aber es gibt noch vier weitere Geschäftsbereiche beim DOSB… 

…die von meinen Vorstandskolleg*innen selbstständig und hervorragend geleitet werden. Für den Bereich Sportentwicklung haben wir in Michaela Röhrbein eine echte Expertin in diesem Bereich vom Deutschen Turnerbund verpflichten können. Und dass Christina Gassner, Dirk Schimmelpfennig und Thomas Arnold ihr Handwerk verstehen, haben sie in den vergangenen Jahren gezeigt. 

Dennoch muss sich ein neuformierter Vorstand erst finden, oder? 

Natürlich und manchmal fehlte dazu in den ersten Wochen zwischen Olympischen Spielen in Peking, Ukraine-Krieg und vielen anderen Aktualitäten ein wenig die Zeit. Aber am vergangenen Wochenende hatten wir eine ausführliche und sehr konstruktive Klausurtagung, auf der wir die Werte und Ziele unserer weiteren Zusammenarbeit definiert und einige Prozesse optimiert haben. Ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam mit dem Präsidium die Herausforderungen, die bis zur nächsten Mitgliederversammlung im Dezember auf uns warten, meistern werden. 

Welche sind das?  

Zunächst einmal müssen wir den Sportvereinen- und Verbänden dabei helfen, die Folgen der Pandemie zu überwinden. Zwei Jahre Corona haben vor allem in den Bereichen Mitglieder, Trainer*innen und Übungsleiter*innen sowie ehrenamtliche Helfer*innen deutliche Spuren hinterlassen. Den Vereinen wieder zu mehr Mitgliedern zu verhelfen, wieder mehr Menschen eine Übungsleiter-Ausbildung zu ermöglichen und das ehrenamtliche Engagement zu stärken sind nur drei Ziele einer groß angelegten Restart-Kampagne, die wir aktuell gemeinsam mit dem Bundesministerium des Inneren planen. 

Gemeinsam mit dem BMI? Das klingt so als hätten Sie eines Ihrer erklärten Ziele bereits erreicht. Die Stimme des Sports in Berlin sollte deutlich gestärkt werden haben Sie bei Amtsantritt gesagt. 

Es gibt zumindest einige gute Ansätze. Die Gespräche mit der neuen Koalition in Berlin laufen auf vielen Ebenen bislang sehr gut. Beispielsweise bei der Planung der oben genannten Kampagne. Viele Bereiche haben die Wichtigkeit und die gesellschaftliche Bedeutung des Sports erkannt.  
Zudem haben wir unser Büro in der Hauptstadt weiter ausgebaut. Alle drei Mitgliedssäulen unseres Verbandes haben nunmehr einen eigenen Ansprechpartner. Das ist eine wichtige Neuerung für unsere Mitgliedsorganisationen. Als DOSB können wir dadurch die Forderungen aus den unterschiedlichen Bereichen endlich besser bündeln und mit einer Stimme auftreten. Das gibt dem Sport mehr Durchschlagskraft. 

Noch in diesem Monat werden wir darüber hinaus ein detailliertes Eckpunktepapier präsentieren, welches der Politik wichtige Impulse für die Erstellung des im Koalitionsvertrags festgeschriebenen Sportentwicklungsplans geben soll.  

Aber ich gebe gerne zu, dass andere Forderungen bislang noch nicht das gewünschte Gehör in Berlin finden. Beispielsweise die gemeinsame Forderung von Deutscher Sportjugend und des DOSB nach der Durchführung eines Bewegungsgipfels. Und auch die Tatsache, dass wir als Spitzenverband in dieser Woche nicht in den Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe geladen wurde, obwohl das Thema „Sport und Menschenrechte“ aufgerufen wurde, hat mich etwas verwundert. Aber ich bin zuversichtlich, dass solche Vorgänge bald nur noch die Ausnahme sind. Denn sowohl Politik als auch wir wissen, dass wir nur im engen Schulterschluss den Sport zurück in die Position bringen können, die ihm aufgrund seiner Querschnittsaufgabe in unserer Gesellschaft zusteht.  

Stichwort Menschenrechte. Das DOSB-Präsidium hat in der ersten Sitzung nach seiner Wahl die Konzeption eines „Wertebeirats“ beschlossen. Wie ist diesbezüglich der Stand? 

Auch an diesem wichtigen Thema sind wir mit Hochdruck dran. Ich bin zuversichtlich, dass wir schon bald erste Empfehlungen aussprechen können. Nicht nur in Bezug auf Menschenrechte im Speziellen sondern auch was einen möglichen neuen Beirat betrifft.  

Sie haben zum Einstieg gesagt, es gibt keine Schonfrist mehr. Vielleicht stimmt das, zumindest gab es in den vergangenen Wochen hier und da auch schon kritische Worte zu einigen Themen. Beispielsweise zur Leistungssportreform, die erst in dieser Woche wieder Thema im Sportausschuss des Bundestages gewesen ist.  

Das neue Präsidium und den neuformierten Vorstand zeichnet eine gewisse Selbstkritik aus. Deshalb bin ich weit davon entfernt zu sagen, wir machen alles richtig. Bezogen auf die Leistungssportreform sind wir tatsächlich nicht so weit, wie wir uns das alle gewünscht hätten. Das hat unterschiedliche Gründe. Aber ich erwarte schon, dass wir auch in diesem Bereich noch in diesem Jahr weitere Maßnahmen auf den Weg bringen, um einen Schritt voranzukommen. Wir müssen in allen Bereichen unsere Hausaufgaben machen. Wenn wir konstant gute und transparente Arbeit abliefern und auch andere Stimmen hören und einfließen lassen, sind wir auf dem richtigen Weg. 

Ein anderes weniger schönes Thema ist ein anonymer Brief, der vergangene Woche an die Ethikkommission des DOSB und einzelne Medien ging. Darin wird die Art und Weise der Einstellung von Michaela Röhrbein und Ihnen kritisiert. 

Der Sachverhalt wurde bei der Ethikkommission angezeigt. Dementsprechend wird diese ihn überprüfen, bewerten und zu einem Ergebnis kommen. Ich persönlich begrüße das sehr, denn so wird dieses Thema abschließend behandelt. Die Beurteilung darüber, ob ein anonymer Brief der richtige Weg ist, um Kritik zu äußern, überlasse ich anderen. Nach 100 Tagen im Amt dürfte bekannt sein, dass ich persönlich jederzeit für jedermann für ein kritisch-konstruktives und vor allem lösungsorientiertes Gespräch zur Verfügung stehe.